Die Modernisierung der Stadt

Die Fassade als schützende und schmuckbare Gebäudehülle unterliegt einem stetigen Wandel. Dem Zeitgeist angepasst gibt sie den Städten ihr Gesicht.

Die Entfernung von Stuckdekorationen an Wohn-, Geschäfts- und Werksgebäuden der Städte wurde vorwiegend in Deutschland im Zuge der Moderne vorangetrieben. Die blendende, den Inhalt oder die Funktion des Gebäudes verschleiernde Fassade sollte zunehmend eine klare Aussage zum Innern herstellen. So z.B. wurde die Verschleierung der sozialen Verhältnisse von Mietshäusern der Gründerzeit durch oppulentem Fassadenschmuck kristisiert, zumal an vielen Häusern der Zahn der Zeit nagte, sie zum Sanierungsfall wurden. Neben modernen schlicht gehaltenen Neubauten der Reformarchitektur wurden seit Anfang des 20. Jahrhunderts alte Fassaden bereinigt, Entstuckung oder Abstuckung genannt.

In der Zeit des Nationalsozialismus wurde die Entstuckung mit der Begründung von "Entschandelung" vorangetrieben. Die Umgestaltung der Städte mit Hinwendung auf Machtbauten und die Reduktion der Formenvielfalt durch Normbauten, gleichzeitiger Blütezeit des Heimatschutzstils, bestehende Einflüsse der Gründerzeit und des Jugenstils, die Zerstörung durch den Krieg hinterlässt uns als Betrachter ein breites optisches Spektrum.

Durch die Zerstörung im 2. Weltkrieg sind viele Fassadengestaltungen unwiderbringlich verloren gegangen. In der Zeit des Wiederaufbaus konnten und wollten diese nicht erhalten werden. Fassadenornamente unterschiedlichster Form waren zudem auch eine Gefahrenquelle wegen der Beschädigungen und wurden vorsorglich entfernt. Die Schaffung von akzeptablem Wohn- und Lebensraum in der Stadt lies die Stuckfassade in den Hintergrund treten und schuf Platz für schlichte funktionale Fassaden, der Moderne verpflichtet. Für Eigentümer war es vermutlich aufgrund fehlender finanzieller Mittel nicht vordergründig wichtig, Fassadengestaltungen wieder herzustellen. Entstuckte Häuser wirken durch ihre ursprüngliche gegliederte angelegte Form manchmal unproportioniert, da sie vom Auge des Betrachters nicht mehr gut wahrgenommen werden können. Seit den 70iger Jahren wird der Baustil der Gründerzeit wieder beachtet und in der Denkmalpflege berücksichtigt und Fassaden zum Teil wieder rekonstruiert. Leider durch energetische Sanierungen auch entfernt und verdeckt.

Plastischer Schmuck, Farbgestaltung und Stilmischungen, bis hin zum Stilbruch zeigen das Gesicht einer Stadt und geben ihr Authentizität.

In Essen, eine Stadt die ich architektonisch als "verletzte Stadt" empfinde, sind viele Stilbrüche zu finden. Die Entstehung des Stadtbildes hat, wie in jeder Stadt, seine Ursprünge in der Geschichte. Wer mit offenen Augen und Sinnen seine Stadt betrachtet und den Blick erhebt, kann so manches "Hausgesicht" entdecken. Essen hat viele architektonische und gestalterische Narben, welche zum Teil weh tun, aber auch zum Schmunzeln sind. Narben können entstellen und sind unschön, vermindern die Perfektion. Jede Narbe hat eine Geschichte, jeder Makel macht interessant und ein bisschen einzigartig.

 

Essen ist keine barocke Stadt, welche von je her mit Skulpturen und Präsentationsbauten üppig übersäht war. Eine wandelbare Stadt am Fluss, für Industrie, Handel, Arbeiten, Erholung und Leben; eine funktionierende Stadt, die sich je nach Möglichkeiten und Zeitgeschmack Kunst am Bau oder Dekor gegönnt hat. Daher sind mir die ewas raren Dekore, welche aus unterschiedlichsten Gründen "überlebt" haben und uns täglich begleiten, wichtig. Vielleicht verschwinden einige wieder bei Sanierungen oder werden komplett mit Häusern die nicht bewohnt sind abgerissen. Jetzt sind sie noch da.

Ich sehe mich als Betrachter, Beobachter und fühle mich ein bisschen wie ein Sammler, wenn ich durch Essen gehe und Dekore entdecke. Ich bin kein Architekturexperte und habe mich mit dem Thema inhaltlich beschäftigt, um architektonische Stadtentwicklung ein wenig zu verstehen. Mit meinen Bildern möchte ich dazu anregen, Städte mit ihren Details wahrzunehmen und sich Stadtführungen anzuschließen, um in den Details die Geschichte der Heimat- oder Wahlheimatstadt kennenzulernen.